Übernachten im Elektroauto: Warum geht das?

01.02.2021

Immer häufiger hört man von Elektroautofahrern, die in ihrem Fahrzeug schlafen und es stellt sich die Frage: Handelt es sich um verblendete Enthusiasten, die sich nicht mehr von Ihrem Fahrzeug trennen wollen und somit ihrem Hang zur Elektromobilität auf diese Weise zusätzlichen Raum geben? Oder ist etwas dran an der Vermutung, dass sich E-Mobile besonders gut für die spontane Übernachtung eignen? Dieser Artikel geht der Frage auf den Grund und erklärt, welche technischen Eigenschaften eines batterieelektrischen Fahrzeugs für Camper besonders nützlich sind.

Viel Platz im Innenraum zum Schlafen und für Gepäck

Beim Benzin- oder Dieselauto müssen die Ingenieure in der Karosserie ausreichend Platz schaffen für den Motor, das Getriebe, die Längsantriebswellen und einen Tank. Gleichzeitig soll die passive Sicherheit des Autos sicherstellen, dass im Falle eines Unfalls die Insassen und verwickelte Passanten möglichst nicht durch die schweren Bauteile des Antriebs verletzt werden.
Automobile, die bereits bei der Planung als reine Elektroautos konzipiert wurden, haben eine vom klassischen Verbrennerfahrzeug abweichende Geometrie, die den Innenraum effizienter nutzt. Anstatt eines Tanks gibt es nun einen Akku, der bei den meisten Fahrzeugen als große Platte den Unterboden zwischen den Achsen stabilisiert. Die eigentlichen Aggregate wie Motoren, Ausgleichsgetriebe und Leistungselektronik sind vergleichsweise klein und sitzen pro Achse platzsparend zwischen den Rädern. Durch diese sogenannte Skateboard-Bauweise entsteht ein flaches tragendes Chassis und der Aufbau der Karosserie lässt viel Freiraum für Insassen und nutzbare Staubereiche. Deshalb haben viele Elektroautos auch einen sogenannten Frunk - also einen Front-Trunk (englisch) oder Front-Kofferraum.

Unterm Strich bieten Elektroautos mehr nutzbaren Innenraum im Vergleich zu einem Verbrenner bei vergleichbaren Fahrzeug-Außenmaßen. Gerade im hinteren Bereich des Fahrzeugs können der Kofferraumboden und die hintere Sitzreihe so arrangiert werden, dass bei umgelegten Rückenlehnen eine tiefliegende Ebene entsteht, die sich z.B. auch als Liegefläche nutzen lässt. Bei einem Tesla Model S entsteht so eine nutzbare Länge von bis zu 2 Metern, beim Model 3 sind es zumindest 1,80 Meter.

Die perfekte Lösung gegen Kälte und beschlagene Scheiben

Wer sich bei Kälte in einem stehenden Verbrenner aufhalten will, muss zum Heizen den Motor laufen lassen. Die Abwärme des Motors wird zum Heizen des Innenraums genutzt. Eine gesonderte Standheizung ist hierzulande ein eher seltenes Sonderzubehör. Bei Elektroautos gibt der Motor so wenig Wärme ab, dass man ohnehin eine vom Antrieb unabhängige Heizung einbauen muss. Diese wird über den vorhandenen Hochvolt-Akku gespeist und kann den Innenraum temperieren, ohne dass das Fahrzeug in Bewegung ist.
In der Regel ist die Heizung eines Elektroautos in ein erweitertes Temperatur-Management-System integriert. Die Antriebsmotoren und der Akku sind dabei mit der Innenraumklimatisierung durch ein Leitungssystem über Ventile und Pumpen miteinander verbunden. Die thermische Energie wird mithilfe einer Flüssigkeit an die Komponenten verteilt.
Bei den Tesla Model S und X versorgt ein Heizelement (PTC; Positive Temperature Coefficient) das System mit Wärme ähnlich einem Tauchsieder und die elektrische Klimaanlage (EAC; Electric Air Condition) kann Kälte in den Kreislauf einbringen. Auch beim Model 3 bis Ende 2020 wurde das Verfahren verwendet - in Verbindung mit der sogenannten Superbottle. Das ist ein spezielles Kunststoffgehäuse, welches sämtliche Kühlmittelleitungen in einem Bauteil zusammen führt. Das Tesla Model Y und das aktuelle Model 3 haben inzwischen eine Wärmepumpe. Dieses Prinzip ist effizienter und senkt den Stromverbrauch vor allem im Winter um einige Prozentpunkte. Teslas Wärmepumpe besteht aus einem Kompressor und zwei Flüssigkeitskreisläufen. Beim Ersten befördern zwei Pumpen eine gewöhnliche Kühlflüssigkeit und versorgen die Batterie, den Antriebsmotor inkl. Steuerelektronik (Drive Unit) sowie das Onboard-Gerät zum Wechselstromladen (Power Conversion System, PCS). Der Temperaturaustausch mit der Außenluft erfolgt über einen Radiator, dessen Lüfter insbesondere nach Hochgeschwindigkeitsfahrten oder beim Schnellladen an DC-Säulen hörbar ist. Der zweite Kreislauf wird vom Kompressor angetrieben und nutzt ein Kühlschrank-artiges Kältemittel zum Temperieren des Innenraums. Er ist mit dem ersten Kreislauf über Wärmetauscher verbunden (LLC, Liquid Cooled Condenser für Wärme und Chiller für Kälte).

Durch das Aktivieren von Pumpen und Ventilen in bestimmten Konstellationen wird Wärme oder Kälte aus der Außenluft gezogen und zwischen Batterie, Drive Unit und dem Innenraum verteilt. Erst bei Außentemperaturen unter -10 Grad Celsius wird eine kleine elektrische Zusatzheizung (12Volt) für den Innenraum aktiviert. Um die Kosten für Herstellung und Wartung des Fahrzeugs signifikant zu senken, wurde ein Teil der Steuerungsventile in ein neuartiges Gehäuse zusammengefasst, welches die bisherige Superbottle ablöst. Das revolutionäre Bauteil besteht aus einer Aluminiumplatte und einem Kunststoffdeckel, die zusammen ein verschachteltes Röhrensystem ergeben. Auf dieses Gehäuse wird ein Stellventil mit acht regelbaren Strömungskanälen montiert: Das sogenannte "Octovalve", angelehnt an den achtarmigen Meeresbewohner Oktopus.

Diese geniale Konstruktion reduziert das Regeln des Energieflusses zwischen den Aggregaten und dem Innenraum des Fahrzeugs auf ein einzelnes kostengünstiges Bauteil. Eine einfache Drehbewegung des eingebauten Vierschrittmotors reicht, um die verschiedenen Aggregate sowie die Wärmetauscher zum Innenraum bedarfsgerecht miteinander zu verbinden.
Details zum Konzept gibt es im Youtube-Video von Sandy Munro.

Immer dabei: Energie in großen Mengen

Wer beim Camping nicht auf einen gewissen Luxus verzichten möchte, freut sich über eine geeignete Stromversorgung, die man z.B. zur Beleuchtung, zum Musikhören oder zum Kaffee-Kochen verwenden kann. An dieser Stelle kann das Elektrofahrzeug einen weiteren Vorteil ausspielen.

E-Mobile haben einen großen Hochvolt-Akku an Bord, der - gemessen am Bedarf solcher Verbraucher - einen fast unerschöpflichen Vorrat an elektrischer Energie zur Verfügung stellt (je nach Fahrzeug 30kWh bis 100kWh Kapazität). Allerdings ist dieser Akku dafür ausgelegt, hohe elektrische Spannungen für den Antrieb und das interne Heizungs- und Kühlungssystem abzugeben. Je nach Fahrzeug sind das zwischen 350 Volt und 400 Volt (bisherige Tesla-Modelle) oder bis zu 800 Volt (Porsche Taycan). Für die kleineren Stromabnehmer im Fahrzeug, wie die Steuergeräte, das Licht und die elektrischen Stellantriebe der Fahrzeugsteuerung (Lenkung, Bremse) ist diese Spannung viel zu hoch.

Deshalb hat auch ein Elektroauto ein separates 12Volt-Bordnetz, welches vergleichbar ist mit der Stromversorgung eines herkömmlichen Autos mit Verbrennungsmotor. Als 12V-Batterie kommt ein handelsüblicher wartungsfreier Blei-Akku zum Einsatz. Ein Lithium-Ionen-Akku ist an dieser Stelle nicht geeignet, weil er wegen der großen Schwankung beim Ladestand im Zusammenhang mit dem Lastverhalten zu schnell altern würde. Da es keinen stromhungrigen Anlasser gibt, reicht eine Kapazität von 33-35Ah = 400Wh (Model S), 40Ah = 480Wh (Model X) oder 45Ah = 540Wh (Model 3) aus.

Während beim Verbrenner eine sogenannte Lichtmaschine, also ein Stromgenerator das Laden der 12V-Batterie während dem laufenden Motor übernimmt, gibt es im batteriebetriebenen Elektrofahrzeug einen elektronischen DC/DC-Wandler. Dieser konvertiert die Spannung des Hochvolt-Akkus in eine 14V-Spannung, welche zum Aufladen der 12V-Batterie benötigt wird.

Übrigens ist der DC/DC-Wandler bei den Modellen S und X als separates Bauteil konzipiert und bei den Modellen 3 und Y in den AC/DC-Charger integriert (Power Conversion System, PCS). Er hat eine bauartbedingte Maximalleistung, die bei den heutigen Tesla-Modellen bei 2,4kW liegt (max. Ausgangsstrom 200A bei 12V). Mehr sollte man also nicht als Dauerleistung aus dem System beziehen. Als Stromquelle für Camper kommt nur das 12V Bordnetz infrage. Es gibt zwei Möglichkeiten, sich daran anzubinden:

  1. Anschluss von Verbrauchern über den 12V Zigarettenanzünder in der Mittelkonsole des Tesla. Dieser hat laut Tesla eine maximale Stromabgabe von 10A; was einer Leistung von 120Watt entspricht. Das reicht für einfache LED-Leuchten oder ein Smartphone-Ladegerät.
  2. Einbau eines 230V-Wechselrichters, der aus den 12V Bordnetz-Spannung wiederum ein 230V Wechselstrom erzeugt, an den man gewöhnliche Schutzkontakt-Geräte anschließen kann. Der Einbau eines solchen Geräts sollte man unbedingt einem Fachmann überlassen, weil man durch unsachgemäßes Arbeiten dauerhafte Schäden an der 12V-Anlage sowie dem DC/DC-Wandler verursachen kann!

Übrigens eignet sich die 12V-Batterie im Tesla nicht für die Starthilfe bei einem Verbrenner, auch wenn einzelne Besitzer von erfolgreichen Aktionen berichten. Die Belastung durch die hohen Ströme des Anlassers sind für die 12V-Batterie des Tesla kein Problem, aber da der DC/DC-Wandler auch beim stehenden Tesla immer aktiv ist, kann dieser bei einer Überlastung dauerhaft Schaden nehmen.

Wie Tesla mit speziellen Funktionen und Software-Gadgets die Camper unterstützt

Nach Elon Musks Meinung verkaufen sich Elektroautos insbesondere über Emotionen. Deshalb haben seine Fahrzeuge nicht nur eine starke Motorisierung, sondern bieten zusätzliche Spaßfaktoren über kleine Extras, die über Software-Updates verteilt werden.

Weil einzelne Besitzer darüber sprachen, dass sie im Tesla übernachten wollen, hat das Unternehmen den sogenannten „Camp Mode“ eingeführt. Er ermöglicht, beim stehenden Fahrzeug die Klimatisierung auf Dauerbetrieb zu stellen und lässt die Medienwiedergabe sowie die Versorgung des 12V-Zigarettenanzünders eingeschaltet. Im Display wird stimmungsangemessen eine Lagerfeuerszene inkl. Zelt angezeigt. Der Modus bietet somit die perfekten Voraussetzungen für eine Übernachtung im Wagen. Die verfügbare elektrische Energie reicht bei geladenem Akku locker über eins bis zwei Tage. Sollte die Batteriekapazität unter 15% sinken, wird der Modus deaktiviert, um eine Reserve für die Weiterfahrt zu erhalten.

Weil sich Tesla-Besitzer beklagt haben, dass Passanten die Scheiben eingeschlagen, um einen Hund vor der Hitze zu retten, hat Tesla den „Hunde-Modus“ oder „Dog Mode“ eingebaut. Er schaltet die Klimaanlage im geparkten Fahrzeug an und zeigt die Temperatur-Überwachung im Display an.

Darüber hinaus hat Tesla eine Vielzahl von Computerspielen und Zugang zu Online Medien wie Netflix oder Youtube vorgesehen, um Ladepausen erträglicher zu machen oder die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung zu erweitern. Zukünftige Überraschungen darf man erwarten!


Fazit

Der Umstieg auf die Elektromobilität wird vordergründig mit einem verbesserten Umweltverhalten und einem neuen Fahrerlebnis verbunden. Erst im alltäglichen Umgang mit einem batterieelektrischen Auto zeigt sich, das sich die Anschaffung auch in anderen Lebensbereichen unerwartet auswirken kann. Die neuen Fahrzeugkonzepte bieten Raum für weitere Innovationen und Nutzungsszenarien. Vermutlich wird nicht jeder E-Mobilist zum Camper, aber hoffentlich entwickeln Viele ein neues Bewusstsein für Mobilität, den Umgang mit Energie und den wertvollen Elementen unserer Natur.


Das T&Emagazin

Der Artikel ist erschienen in der Ausgabe 10 (April 2021) des T&Emagazins.
(Online Lesen)

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